Sechzehn

15. Die etwas andere Therapiesitzung

 

“Wo sind wir hier?” Ich unterbreche die träumerische Stille. “Ich weiß es nicht”, erwidert Dance und wirkt dabei leicht abwesend. Plötzlich erscheint eine schwarze Wolke, welche tausendfach schrill heulend umher flattert. Flederläuse. Die Schar flattert davon, ohne sich auf meinem Kopf niederzulassen, die Stille kehrt zurück.

Langsam kommt eine schimmernde Gestalt, wie aus dem Nichts, auf uns zu. Ganz Leise nehme ich Musik wahr, sie wird mit jedem Schritt der schimmernden Gestalt, lauter.

Das seltsame Wesen läuft barfüßig, jedoch geschmeidig wie eine Katze, ohne auf nur einen spitzen Stein zu treten.

Die Musik beginnt düster, gleitet aber schon bald davon ab mit Flötenklängen, Vibraphon, verhallten Gitarrensounds und Schlagzeug passend in diese surreal wirkende Umgebung. Nebel gesellt sich um uns herum, er erscheint pünktlich zu der Einladung. Eine Eule furzt und entschuldigt sich prompt dafür. Die Musik stockt kurz und beginnt von neuem. Ich erkenne sie wieder, verstehe die träumerische Stimme ganz deutlich. Danach verliert sich die Musik in eine sehr lange, verzauberte Improvisation.

Die schimmernde Gestalt steht schließlich direkt vor uns. Sie hebt den Plastikball sanft mit beiden Händen empor, streckt die Arme aus und verweilt mit Dance in eben dieser Position. Die ganze Atmosphäre hat etwas sehr mystisches.

Das Gesicht ist durch ein feines, weißes Tuch mit ausgeschnittenen Gucklöchern verhüllt. Zarte Gesichtszüge sind zu erahnen. Die Augen Grün- braun und voller Hoffnung, glitzern und blinken zauberhaft.

Hypnotisierend und doch kindlich- naiv wirkend, fast schon einfältig. Für einen Augenblick, einen Blick in die Augen werfen, hinein schmeißen, dafür könnte dieses wundersame Wesen Geld verlangen, gar Reichtum erlangen. Aber was sind schon materielle Güter. Einen Scheißdreck!

Dieses Geschöpf hat in etwa die Größe eines Kleinkindes, die schimmernden Ärmchen und Beinchen sind stramm, es trägt kurze Hosen mit Trägern.

“Das ist mein Ball”, erklärt das zarte Geschöpf, mit einer sehr zackigen, rauen Stimme, die ich schon irgendwo einmal gehört habe. In einem Befehlston der Seinesgleichen sucht. “Weißt du weR ich bin?” Das “R” rollt dieses seltsame Wesen besonders lange und akribisch. Die Stimme klingt erwachsen, hat etwas sehr bestimmendes, verrücktes. Ich kriege ein wenig Angst.

So habe ich mir dieses lieblich wirkende Fabelwesen nun wirklich nicht vorgestellt. Entstellt durch diese schauderhafte Stimme.

“Also hätten sie mich nicht gefragt oder sonst wie das Wort ergriffen, hätte ich auf das Moonchild getippt.” Das schimmernde Persönchen bewegt voller Anmut seinen Kopf nach rechts, radikaler weise antwortet es:

Ich werde dich de-nun-zie-Ren, veR-Rä-teR e-len-deR, eR-schie-ßen laSSen, weR-de ich dich!

Nun beginnt das unheimliche Persönchen vor lauter Wahnsinn neben dem Schimmern auch noch zu flackern und ich begreife das eine Diskussion Sinnlos ist. Sinnloser Wahnsinn in Gestalt eines irrational wirkenden, schmächtigen, fast hilflosen Wesens, welches seine Sanftmütigkeit und Anmut in meinen Augen längst verloren hat. Er beginnt zu brüllen:

Wache, schafft mi-R diesen stinkenden Judoka beiseite. Alles Lumpen-pack! NuR Mut-teR nicht! Und Vatilein vom Mond auch nicht, tRa-la-la!

Von weitem nehme ich im Gleichschritt rülpsende Reichsratten wahr, jenen radikalen Stoßtrupp, der lautstark über die fliegenden Ponguine lästerte. Es sind Eliteratten. HaSS ist ihr Antrieb. Bis auf die Zähne bewaffnet (die sind von Karies so sehr durchlöchert, dass sie keine Gefahr darstellen).

Voller Panik schubse ich den Schreihals vor mir her, immer ein Stückchen weiter. Er hat mir körperlich nichts entgegenzusetzen, findet sich scheinbar damit ab und behält Dance sogar in seinen Händen. „Hilfe Ü-beR-gRiff, zum An-gRiff MaRsch! Mein Volk, mein Mut-teR-land (Vatilein lebt ja allein auf dem Mond, tRa-la-la) mein R-Reich”, die Stimme bebt, überschlägt sich und stockt am Ende, dabei fliegt das weiße Tuch, in zitternden Bewegungen, von seinem Kopf hinunter.

Zum Vorschein kommt ein von der einen zur anderen Seite, ordentlich gekämmt und gestriegelter Seitenscheitel. Fleißig zurechtgewichst. Die Haarfarbe: Arisch-Schwarz. Unter der spitzen Nase, in dem gleichen Farbton, ein viereckiger, behaarter, Popel, der sich wohl in den wuchernden Nasenhaaren verfangen haben muss und gerade dort, ulkiger Weise, kleben geblieben ist. Vielleicht mit Absicht, nein niemals.

Das werde ich ihm bestimmt nicht sagen, denk ich kurz, der wird abends am Spiegel vor Scham erröten, wie Peinlich. Auf der Stirn des Mostrums steht, mit roter Schrift, in altertümlichen Arien Gesungen, der Satz, ‚HäSSlich kommt von HaSS!‘,  geschrieben. Er schielt, ich schubse, er schreit weiter, hört nicht auf, dieser Freak.

HeRR-je-mine, ich bin doch der HeRR-sche-R, willst du mich etwa zum FluSS füh-Ren?

Die Grinsekatze, welche plötzlich ganz in meiner nähe, auf einem Ast, einer Trauerweide, wie aus dem Nichts auftaucht, gibt mir mit einem Grinsen zu verstehen, dass die Reichsratten immer näher kommen.

Vor uns taucht der Fluss auf und mit einem letzten, kräftigen Schubs, probiere ich mich meiner Probleme zu entledigen. Der selbsternannte Herrscher fliegt in einem hohen Bogen rücklings in den Fluss hinein, auf dem sich weiterhin tausende von Sterne spiegeln, sowie der wunderschöne Mond.

Hilfe, Ret-tet mich ihR-Rat-ten!

Die Witzfigur scheint nicht Schwimmen zu können. Sie paddelt, wie verrückt, mit den Armen, hat den Plastikball inzwischen losgelassen. Prustet, schluckt Wasser, schimpft:

Du feige Faschistensau, du faschistoide MiSSgebu-Rt, sollen dich doch die Links-RRRR-adikalen holen!

Was denn nun? Ich kriege einfach keinen Zusammenhang hin, keinen Faden. Bin verwirrt, irritiert. Das muss ich nun wirklich nicht verstehen. Was habe ich getan? Das richtige? Er tut mir ja leid, völlig verblendet, man hätte ihn vielleicht nicht so herumschubsen müssen, zu Lebzeiten. Eine Tragödie.

Ich schaue zur Grinsekatze hinüber, sie ist verschwunden, die trauernde Weide auf der sie saß, mit ihr. Die radikalen Ratten marschieren auf, viel zu weit, springen, fallen, stolpern (wie auch immer) zu ihrem Herrchen in den Fluss. Sie fluchen, schreien Parolen, ersaufen, vor meinen Augen. Ein Letztes Lebenszeichen:

Du Ra-fi-nieR-teR  Ra-bauke!

Und von dem schimmernden, inzwischen auch flackernden Wesen ward nichts mehr gesehen. Der Plastikball derweil, schwimmt völlig unbeteiligt, ruhig auf der Wasseroberfläche.

Ich springe ohne mir Gedanken zu machen ins Wasser, schnapp mir den Ball und rette ihm somit das Leben. Mein Heldenkostüm scheint zu lecken, denn als ich prustend das Ufer erreiche, bin ich Nass bis auf die Knochen.

Hast du schon mal etwas von gemütlich auf dem Wasser treiben gehört?

Der blau- weiß gestreifte Plastikball klingt ärgerlich. Ich stelle mich taub, muss die letzten Erlebnisse Revue passieren lassen. Übelkeit überrascht, darauf folgendes Erbrechen dann weniger. Direkt auf meinen Freund, aus versehen natürlich, viel Magensäure, wenig Stückwerk. Der Ball rollt beleidigt zurück zum Fluss und wäscht sich. Ich frage ihn: “Warum hast du den Größenwahnsinnigen nicht kontrolliert?” Er antwortet: “Hab ich doch“, und die Diskussion ist beendet. Dieser größenwahnsinnige Ball hat es faustdick hinter den Ohren. 

Wir folgen dem Lauf des Flusses, wissen nicht wie es weiter geht. Die Dunkelheit besiegt uns schließlich und wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen. Eine ofenfrische Backstube gewährt uns Asyl, es ist noch immer windstill und ich falle in einen tiefen, langen Schlaf.

Das quaken von Fröschen weckt mich, bei Tagesanbruch. Eine besonders fette, rote Kröte sitzt auf meinem Bauch. “Leck mich, dann werd ich eine ganz besonders willige, wunderschöne Nymphe”, spricht sie mit einem quakenden Akzent. Noch bevor die Kröte ausspricht, lecke ich sie von oben bis unten ab. Nichts passiert. Ich bin enttäuscht.