15. Die etwas andere Therapiesitzung
“Wo sind wir hier?” Ich unterbreche die träumerische Stille. “Ich weiß es nicht”, erwidert Dance und wirkt dabei leicht abwesend. Plötzlich erscheint eine schwarze Wolke, welche tausendfach schrill heulend umher flattert. Flederläuse. Die Schar flattert davon, ohne sich auf meinem Kopf niederzulassen, die Stille kehrt zurück.
Langsam kommt eine schimmernde Gestalt, wie aus dem Nichts, auf uns zu. Ganz Leise nehme ich Musik wahr, sie wird mit jedem Schritt der schimmernden Gestalt, lauter.
Das seltsame Wesen läuft barfüßig, jedoch geschmeidig wie eine Katze, ohne auf nur einen spitzen Stein zu treten.
Die Musik beginnt düster, gleitet aber schon bald davon ab mit Flötenklängen, Vibraphon, verhallten Gitarrensounds und Schlagzeug passend in diese surreal wirkende Umgebung. Nebel gesellt sich um uns herum, er erscheint pünktlich zu der Einladung. Eine Eule furzt und entschuldigt sich prompt dafür. Die Musik stockt kurz und beginnt von neuem. Ich erkenne sie wieder, verstehe die träumerische Stimme ganz deutlich. Danach verliert sich die Musik in eine sehr lange, verzauberte Improvisation.
Die schimmernde Gestalt steht schließlich direkt vor uns. Sie hebt den Plastikball sanft mit beiden Händen empor, streckt die Arme aus und verweilt mit Dance in eben dieser Position. Die ganze Atmosphäre hat etwas sehr mystisches.
Das Gesicht ist durch ein feines, weißes Tuch mit ausgeschnittenen Gucklöchern verhüllt. Zarte Gesichtszüge sind zu erahnen. Die Augen Grün- braun und voller Hoffnung, glitzern und blinken zauberhaft.
Hypnotisierend und doch kindlich- naiv wirkend, fast schon einfältig. Für einen Augenblick, einen Blick in die Augen werfen, hinein schmeißen, dafür könnte dieses wundersame Wesen Geld verlangen, gar Reichtum erlangen. Aber was sind schon materielle Güter. Einen Scheißdreck!
Dieses Geschöpf hat in etwa die Größe eines Kleinkindes, die schimmernden Ärmchen und Beinchen sind stramm, es trägt kurze Hosen mit Trägern.
“Das ist mein Ball”, erklärt das zarte Geschöpf, mit einer sehr zackigen, rauen Stimme, die ich schon irgendwo einmal gehört habe. In einem Befehlston der Seinesgleichen sucht. “Weißt du weR ich bin?” Das “R” rollt dieses seltsame Wesen besonders lange und akribisch. Die Stimme klingt erwachsen, hat etwas sehr bestimmendes, verrücktes. Ich kriege ein wenig Angst.
So habe ich mir dieses lieblich wirkende Fabelwesen nun wirklich nicht vorgestellt. Entstellt durch diese schauderhafte Stimme.
“Also hätten sie mich nicht gefragt oder sonst wie das Wort ergriffen, hätte ich auf das Moonchild getippt.” Das schimmernde Persönchen bewegt voller Anmut seinen Kopf nach rechts, radikaler weise antwortet es:
Ich werde dich de-nun-zie-Ren, veR-Rä-teR e-len-deR, eR-schie-ßen laSSen, weR-de ich dich!
Nun beginnt das unheimliche Persönchen vor lauter Wahnsinn neben dem Schimmern auch noch zu flackern und ich begreife das eine Diskussion Sinnlos ist. Sinnloser Wahnsinn in Gestalt eines irrational wirkenden, schmächtigen, fast hilflosen Wesens, welches seine Sanftmütigkeit und Anmut in meinen Augen längst verloren hat. Er beginnt zu brüllen:
Wache, schafft mi-R diesen stinkenden Judoka beiseite. Alles Lumpen-pack! NuR Mut-teR nicht! Und Vatilein vom Mond auch nicht, tRa-la-la!
Von weitem nehme ich im Gleichschritt rülpsende Reichsratten wahr, jenen radikalen Stoßtrupp, der lautstark über die fliegenden Ponguine lästerte. Es sind Eliteratten. HaSS ist ihr Antrieb. Bis auf die Zähne bewaffnet (die sind von Karies so sehr durchlöchert, dass sie keine Gefahr darstellen).
Voller Panik schubse ich den Schreihals vor mir her, immer ein Stückchen weiter. Er hat mir körperlich nichts entgegenzusetzen, findet sich scheinbar damit ab und behält Dance sogar in seinen Händen. „Hilfe Ü-beR-gRiff, zum An-gRiff MaRsch! Mein Volk, mein Mut-teR-land (Vatilein lebt ja allein auf dem Mond, tRa-la-la) mein R-Reich”, die Stimme bebt, überschlägt sich und stockt am Ende, dabei fliegt das weiße Tuch, in zitternden Bewegungen, von seinem Kopf hinunter.
Zum Vorschein kommt ein von der einen zur anderen Seite, ordentlich gekämmt und gestriegelter Seitenscheitel. Fleißig zurechtgewichst. Die Haarfarbe: Arisch-Schwarz. Unter der spitzen Nase, in dem gleichen Farbton, ein viereckiger, behaarter, Popel, der sich wohl in den wuchernden Nasenhaaren verfangen haben muss und gerade dort, ulkiger Weise, kleben geblieben ist. Vielleicht mit Absicht, nein niemals.
Das werde ich ihm bestimmt nicht sagen, denk ich kurz, der wird abends am Spiegel vor Scham erröten, wie Peinlich. Auf der Stirn des Mostrums steht, mit roter Schrift, in altertümlichen Arien Gesungen, der Satz, ‚HäSSlich kommt von HaSS!‘, geschrieben. Er schielt, ich schubse, er schreit weiter, hört nicht auf, dieser Freak.
HeRR-je-mine, ich bin doch der HeRR-sche-R, willst du mich etwa zum FluSS füh-Ren?
Die Grinsekatze, welche plötzlich ganz in meiner nähe, auf einem Ast, einer Trauerweide, wie aus dem Nichts auftaucht, gibt mir mit einem Grinsen zu verstehen, dass die Reichsratten immer näher kommen.
Vor uns taucht der Fluss auf und mit einem letzten, kräftigen Schubs, probiere ich mich meiner Probleme zu entledigen. Der selbsternannte Herrscher fliegt in einem hohen Bogen rücklings in den Fluss hinein, auf dem sich weiterhin tausende von Sterne spiegeln, sowie der wunderschöne Mond.
Hilfe, Ret-tet mich ihR-Rat-ten!
Die Witzfigur scheint nicht Schwimmen zu können. Sie paddelt, wie verrückt, mit den Armen, hat den Plastikball inzwischen losgelassen. Prustet, schluckt Wasser, schimpft:
Du feige Faschistensau, du faschistoide MiSSgebu-Rt, sollen dich doch die Links-RRRR-adikalen holen!
Was denn nun? Ich kriege einfach keinen Zusammenhang hin, keinen Faden. Bin verwirrt, irritiert. Das muss ich nun wirklich nicht verstehen. Was habe ich getan? Das richtige? Er tut mir ja leid, völlig verblendet, man hätte ihn vielleicht nicht so herumschubsen müssen, zu Lebzeiten. Eine Tragödie.
Ich schaue zur Grinsekatze hinüber, sie ist verschwunden, die trauernde Weide auf der sie saß, mit ihr. Die radikalen Ratten marschieren auf, viel zu weit, springen, fallen, stolpern (wie auch immer) zu ihrem Herrchen in den Fluss. Sie fluchen, schreien Parolen, ersaufen, vor meinen Augen. Ein Letztes Lebenszeichen:
Du Ra-fi-nieR-teR Ra-bauke!
Und von dem schimmernden, inzwischen auch flackernden Wesen ward nichts mehr gesehen. Der Plastikball derweil, schwimmt völlig unbeteiligt, ruhig auf der Wasseroberfläche.
Ich springe ohne mir Gedanken zu machen ins Wasser, schnapp mir den Ball und rette ihm somit das Leben. Mein Heldenkostüm scheint zu lecken, denn als ich prustend das Ufer erreiche, bin ich Nass bis auf die Knochen.
Hast du schon mal etwas von gemütlich auf dem Wasser treiben gehört?
Der blau- weiß gestreifte Plastikball klingt ärgerlich. Ich stelle mich taub, muss die letzten Erlebnisse Revue passieren lassen. Übelkeit überrascht, darauf folgendes Erbrechen dann weniger. Direkt auf meinen Freund, aus versehen natürlich, viel Magensäure, wenig Stückwerk. Der Ball rollt beleidigt zurück zum Fluss und wäscht sich. Ich frage ihn: “Warum hast du den Größenwahnsinnigen nicht kontrolliert?” Er antwortet: “Hab ich doch“, und die Diskussion ist beendet. Dieser größenwahnsinnige Ball hat es faustdick hinter den Ohren.
Wir folgen dem Lauf des Flusses, wissen nicht wie es weiter geht. Die Dunkelheit besiegt uns schließlich und wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen. Eine ofenfrische Backstube gewährt uns Asyl, es ist noch immer windstill und ich falle in einen tiefen, langen Schlaf.
Das quaken von Fröschen weckt mich, bei Tagesanbruch. Eine besonders fette, rote Kröte sitzt auf meinem Bauch. “Leck mich, dann werd ich eine ganz besonders willige, wunderschöne Nymphe”, spricht sie mit einem quakenden Akzent. Noch bevor die Kröte ausspricht, lecke ich sie von oben bis unten ab. Nichts passiert. Ich bin enttäuscht.
Du Lüügnnnn…ääärin!
Ich Spüre meine Zunge nicht mehr, mir ist ganz schummerig zumute. Ich beginne zu zittern, Schweißausbrüche folgen, mir wird ganz heiß und dann wieder kalt. Hätte ich noch etwas im Magen, es wäre schon längst draußen. Durst, ich habe Durst, taumele zum Fluss und schaffe es irgendwie, mit meinen fünf Händen, Wasser zu schöpfen und es hinunter zu würgen.
Diese beschissene fette, rote Kröte, sie hat mich angeflunkert. Ich richte meinen Blick auf sie: Diese riesengroße, mit Warzen übersäte (die in allen Farben und Formen glitzern und blinken), verdammt fettwanstige, Kröte. Sie hat ein breites, riesiges Maul, diese Blase, dieser Luftballon. Unter ihrem Maul, mal groß, dann wieder klein. Hin und her. Die Augen sind so aggressiv, so finster Durchblickend. So verdammt glubschig!
Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Ein fetter Brummer, summselt plötzlich über uns. Ohne Vorwarnung schießt eine riesenhafte rosig- klebrige Zunge aus dem breiten Maul heraus, schnappt das Arme Geschöpf und verschwindet eben so schnell wieder. Die Bestie kaut und blickt mich dabei an. Ich blicke voller Entsetzen auf ihr Maul, ein Flügelchen schaut noch hinaus, verschwindet allmählich. Die Bestie schluckt, ich schlucke auch. Gleich will sie mit Sicherheit den Außenseiter fressen. Ein paar Schritte taumele ich zurück, wir Blicken uns nun, gegenseitig, direkt in die Augen. Mit einem riesigen Satz, springt sie plötzlich direkt vor mich, mein Herz rutscht mir in die Hose. Warmer Urin läuft mir die Beine herunter. Schließlich öffnet sie ihr schreckliches Maul, ich erblicke Sabberfäden die zwischen dem Ober- und Unterkiefer abhängen.
Das war’s dann wohl, ein makaberer Tod: Gefressen von einer Riesenkröte. Es war mir eine Ehre, keine Ahnung was hier überall abgeht, diese ganze Kacke hier geht mir tierisch auf den Sack:
Quak!
Ohnmacht.
Der Regen weckt mich, mit seinen feinen, lieblichen, Tröpfchen. Ich befinde mich auf einem satten Grün, bin Nackt, will es wie wild in der Wildnis treiben, wildes Nass. Erwache aus dem Feuchten Traum, Dance liegt neben mir, der Wind, bläst mir Luft ins Gesicht. Ich fühle mich angepisst, bin es, von mir selbst.
Dr. Wirbelwind flüstert, wohl nicht zu mir, eher Richtung Plastikball:
Also damit kann ich nun wirklich nicht rechnen, dass er das liebliche Kind des Mondes, auf irgendeinem Horrortrip in dem Fluss ertränkt, sollte es ihm doch lehren, sich selbst zu Lieben. Und dann auch noch auf die offensichtlichsten Lügen dieser garstigen Kröten hereinzufallen. Wo doch jeder weiß, dass Kröten dumme, verlogene Miststücke sind. Meine Methoden sind zwar umstritten, aber mit so einem Psychowrack kann doch niemand rechnen. Da kann er froh sein noch unter den Lebenden zu weilen. Ich verschwinde jetzt, will keinen Ärger mit der Sitte kriegen. Außerdem ist Sonntag, da muss ich doch den Tatort gucken, sonst werd ich erschossen.
Mir ist sehr schwindelig, alles dreht sich. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich möchte mich für den Therapieversuch bedanken, strenge mich mit allen mir gegebenen Mitteln an und kriege ein erstaunlicher Weise sehr schrilles und schnell gesprochenes “Fuck You!”, heraus. Der Wind erschrickt, verkriecht sich kurzzeitig hinter seine Windschutzscheibe und weht gutgelaunt zu uns zurück: “Ich kann wieder Hören, dank des Psychopathen. Hab dank, du bekloppter Außenseiter! Werde mich bei Zeiten revanchieren.” Und Dr. Wirbelwind weht in Windeseile in alle Himmelsrichtungen davon.